Tristan Horx: “Vertrauen ist die Währung der Zukunft”

09. Dezember 2019

Im Interview mit Philipp Depiereux spricht Tristan Horx vom renommierten Zukunftsinstitut über aktuelle Hürden bei der Umsetzung der digitalen Transformation, das fehlende Vertrauen der Unternehmen in die eigenen Mitarbeiter und weitere zentrale Ergebnisse der etventure-Studie 2019.

Das Meinungsforschungsinstitut GfK hat für die etventure-Studie bereits zum vierten Mal eine telefonische Befragung unter 2.000 Großunternehmen in Deutschland ab 250 Millionen Euro Umsatz repräsentativ durchgeführt, um sie zum Stand ihrer Digitalaktivitäten zu befragen. Mit den Ergebnissen sind wir wiederum auf unterschiedliche Menschen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zugegangen und haben sie um Ihre Einschätzung gebeten – darunter Digitalministerin Dorothee Bär, Gisbert Rühl, CEO des Stahlhändlers Klöckner oder Dirk Müller von Schacht One. Herausgekommen sind spannende Interviews, die auch Inspiration geben, den digitalen Wandel mutig anzugehen.

Heute: Tristan Horx, Zukunftsinstitut.

Lieber Tristan, die aktuelle etventure Studie hat ergeben, dass erstmals seit 2016 die strategische Bedeutung der digitalen Transformation in Bezug auf die drei wichtigsten Unternehmensziele sinkt. An welche Stelle gehört die digitale Transformation aus deiner Sicht?

Digitale Transformationsprozesse hören nie auf und werden in Zukunft sicherlich zu den Top 3 der wichtigsten Unternehmensziele gehören. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass Unternehmen, die die Digitalisierung kulturell verinnerlicht haben, dieses Thema nicht dezidiert ansprechen müssen – es muss Teil der Firmen-DNA werden.

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Wie bewertest du die “Anstrengungen” der Wirtschaft generell in Bezug auf die digitale Transformation und wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

Deutschland ist vergleichsweise noch relativ undigitalisiert, da es seine Stellung als Industrieland noch nicht abgelegt hat. Das Zeitalter der kreativen Digitalwirtschaft beginnt. Der große Vorteil ist der Wohlstand, der noch aus dem Industriezeitalter rührt, hier hat Deutschland die große Chance, auf den Zug der Digitalisierung aufzuspringen. Die guten Zeiten nutzen, um sich für die Zukunft vorzubereiten, heißt die Devise.

Wir haben die Unternehmen gefragt, welches die größten Hürden sind: Als größtes aktuelles Hemmnis bei der Umsetzung der digitalen Transformation werden mit deutlichem Abstand “fehlende qualifizierte Mitarbeiter mit Digital-Know-how” genannt, außerdem “fehlende Zeit” und an dritter Stelle liegt mit 45 Prozent Nennung die Einsicht, dass im Unternehmen “die Erfahrung zur digitalen Umsetzung von Produkten und Prozessen fehlt.” – wie bewertest du diese Aussagen?

Digitale Bedürfnisse in Unternehmen werden immer komplexer und individualisierter. Idealerweise stellen Firmen hier Mitarbeiter ein, beziehungsweise suchen intern Mitarbeiter, die diesen Themen eine große Affinität entgegenbringen und eine Schnittstelle zu einem externalisierten Tech-Team bilden. Denn das größte Know-How auf der einen Seite bringt nicht viel, wenn auf der anderen Seite die Mitarbeiter nicht verstehen, wie sie die digitale Transformation umsetzen. Der Übersetzer zwischen den “Nerds” und den “Anderen” ist eine der wichtigsten Stellen.

Wie bewertest du die Tatsache, dass die befragten Unternehmen sich stärker noch als im Vorjahr auf die Digitalisierung analoger Prozesse oder schon vorhandener Geschäftsmodelle konzentrieren und lediglich ein Fünftel auf die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsfelder?

Deutschland hängt noch im Industriezeitalter und ist im Digitalzeitalter noch nicht so richtig angekommen, der Aufholbedarf ist groß. Ein Grund dafür kann der fehlende Mut sein, neuen Innovationen eine Chance zu geben. Deutschland muss verstehen, dass wir im digitalen Kreativzeitalter sind. Das DFKI zum Beispiel forscht und entwickelt im Bereich der Künstlichen Intelligenz und gilt hier als eine der führenden Forschungseinrichtungen, die maßgeblich den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland beeinflussen. Hier können nicht nur Unternehmen lernen, welche echten Chancen neue Technologien für sie eröffnen könnten, auch gilt das DFKI als die Ausbildungsstätte für wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Gebiet.

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Wie bewertest du die Tatsache, dass knapp jedes zweite Unternehmen glaubt, das Umsatz-Niveau von heute auch ohne jegliche Digitalisierungsmaßnahme in den nächsten drei Jahren halten zu können?

So wichtig Digitalisierung auch ist, können sich Unternehmen, deren klare Stärke im Analogen liegt, auch darauf berufen. Gerade jetzt zeigt sich verstärkt ein Interesse für analoge Dinge, wie zum Beispiel Schallplatten. Eine ideale Lösung für Unternehmen wäre: Analog im Vordergrund und digital im Hintergrund.

Nur 21 Prozent sehen in Tech-Konzernen wie Google oder Amazon ihre stärkste Wettbewerbsbedrohung. Ist es nicht “fahrlässig”, wenn Unternehmen nur ihre direkten Wettbewerber als Gefahr wahrnehmen?

Sicherlich, deswegen hat auch „Airbnb“ die Hotelbranche auf den Kopf gestellt, genauso wie „Uber“ die Taxibranche. Es ist unumgänglich für Unternehmen, die Fühler auszustrecken und auch mal unübliche Wege zu gehen. Sich mit Giganten wie „Google“ oder „Amazon“ zu messen ist jedoch wenig sinnvoll, da diese Firmen momentan eine derartige Monopolstellung am Markt besitzen und sich kleinere Firmen realistischerweise nicht mit ihnen messen können, beziehungsweise versuchen sollten, diese nachzuahmen. Die Unternehmen können in einer eigenen Nische mehr erreichen.

Wie schafft man es als Unternehmen, die richtigen Leute für sich zu gewinnen?

In Zeiten von „LinkedIn“ und Co. können wir täglich mit mehreren 100 Jobprofilen konfrontiert werden. Um in dieser Flut an Informationen nicht unterzugehen, lohnt es sich, wieder mehr auf sein Bauchgefühl zu hören und Bewerber bei einem Face-to-Face Gespräch, abseits von ihrem Lebenslauf, kennenzulernen. Denn zwischenmenschliche Beziehungen sind wichtiger als jedes Jobprofil. Es lohnt sich, Menschen anzustellen, denen man auch zutraut sich anzupassen – statt nur ihre “job description”.

Die Anzahl der Unternehmen, die Vertrauen in die Qualifikation der eigenen Mitarbeiter haben, hat sich in den letzten 2 Jahren halbiert. Welche Erkenntnis könnte dem Ergebnis zu Grunde liegen und wie gelingt eine nachhaltige Qualifizierung der eigenen Mitarbeiter für die digitale Transformation?

Der Bildungssektor und die Wirtschaft sind 20 Jahre versetzt. Es gibt zum Teil noch keine Ausbildungen für schon bestehende Jobs. Andererseits werden die Jobbeschreibungen immer komplizierter und auch undurchsichtiger. Wichtig ist es – wie oben erwähnt – auf die jeweiligen Charaktere, die Menschen, zu setzen und nicht nur auf deren Ausbildung. Die Konsequenz für Arbeitgeber ist hier: Genügend Möglichkeiten für die Mitarbeiter zu schaffen, sich fortzubilden, zum Beispiel durch Kongresse oder Schulungen. Aber auch “outside the Box” zu denken; viele Mitarbeiter wissen selber am besten, wo und wie sie sich weiterbilden können. Vertrauen ist die Währung der Zukunft.

Technologien wie Big Data/Smart Data, Plattformökonomie und KI werden aus Unternehmenssicht in den nächsten drei Jahren den größten Einfluss auf das jeweilige Geschäftsmodell haben, allerdings glaubt nur eine Minderheit, dass Deutschland bei den jeweiligen Themen auch eine Spitzenposition einnehmen wird – im Gegenteil. Zu recht? Beeinträchtigt das nicht signifikant die Zukunftsfähigkeit der deutschen Unternehmen und wie kann man gegebenenfalls gegensteuern?

In diesem Fall brauchen Unternehmen eindeutig mehr Zukunftsmut, und der sollte von der Führungsriege entwickelt werden, denn eine positive Einstellung zu der Zukunft des Unternehmens muss intrinsisch entstehen, um nachhaltig zu sein. Es ist wie bei selbsterfüllenden Prophezeiungen: ohne genügend Selbstvertrauen und den Willen, sich neuen Themen auch offen zu widmen, klappt es nicht. Zukunftsoptimismus beginnt bei den Führungskräften.

Wie sieht Deutschland 2030 aus?

Deutschland hat die digitale Wende geschafft und funktioniert in einer digitalen Kreativ-Ökonomie genauso gut, wie noch im Industriezeitalter. Und falls nicht, bauen wir hoffentlich weiterhin gute Autos.

Neben Tristan Horx haben sich unter anderem Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, und Gisbert Rühl, CEO des Stahlhändlers Klöckner & Co, zu den Ergebnissen der etventure Studie 2019 geäußert. Die kompletten Interviews können Sie in der Studie nachlesen.


Tristan HorxTristan Horx betreibt Zukunftsforschung aus Sicht der Jugend und kombiniert dabei Sozial- und Kulturanthropologie mit seinen Erfahrungen in einer immer komplexer werdenden Welt. Digitalisierung, Lifestyle, Globalisierung und Generationenwandel sind in seinen Vorträgen und in seinem Podcast ebenso Thema wie seine größte Leidenschaft: die Zukunft von Politik und Medien.


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Autor

Zunächst als Berater, dann als CEO eines mittelständischen Unternehmens mit 250 Mitarbeitern und heute als Gründer und Geschäftsführer von etventure beschäftigt sich Philipp Depiereux mit Innovationsprojekten. Gemeinsam mit seinen Partnern gründete er 2010 Digitalberatung und company builder etventure, um seine Erfahrungen als Unternehmer und Innovationstreiber im Mittelstand, in der Konzernwelt, in Startups sowie in Digitalprojekten im Silicon Valley in einem Unternehmen zu vereinen. Der Gründer und Geschäftsführer gilt als Messias der Digitalisierung im deutschen Mittelstand und wurde vergangenen Jahres als eine der LinkedIn Top Voices 2019 ausgezeichnet. In seinen Vorträgen zu den Themen Digitale Transformation und Innovation sorgt er für Aufbruchstimmung, motiviert Unternehmen und erklärt praxisnah, wie die Digitalisierung gelingt. Darüber hinaus ist Philipp Depiereux Initiator und Moderator des gemeinnützigen Video- und Podcastformats “ChangeRider”, das positive Geschichten und Erfolge rund um Innovation, Disruption und den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft erzählt.

Co-Autor

Christian van Alphen leitet die Kommunikation bei etventure. Darüber hinaus ist er Co-Initiator des ChangeRider: Ein Video- und Podcastformat mit der Mission, die positiven Geschichten rund um den digitalen Wandel zu erzählen und damit Mut für die Zukunft zu machen.

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