Digitaler Wandel beginnt meist mit der Juniorgeneration

21. November 2019

Nichts bleibt, wie es war. Das ist Fluch und Segen zugleich. In meinem Beitrag in der FAZ erkläre ich, warum es sinnvoll ist, die junge Unternehmergeneration und ihre digitalen Ideen frühzeitig in die Familienunternehmen zu integrieren.

Noch vor 30 Jahren waren die Außendienstmitarbeiter unseres Familienunternehmens weltweit unterwegs. Sie organisierten in Privathaushalten Erlebnisweinproben und verkauften die Weine auf diesem Weg. Aufträge wurden telefonisch oder per Fax versendet, die Adressen unserer Kunden befanden sich auf handgeschriebenen Karteikarten und es gab lange Excel-Listen mit Telefonnummern für den telefonischen Weinvertrieb. Die einzelnen Regionen war so unterteilt, dass jeder Kunde in seiner Heimat seinen ‚eigenen‘ Weinvertreter ums Eck hatte.

Dass diese Form des singulären Vertriebskanals in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr erfolgreich ist, verwundert wenig: Es gibt heute die volle Transparenz bei Produkten und Weinpreisen – ob Schloss- oder Erzeugerabfüllungen, es gibt Online-Weinhändler mit sehr akzeptabler Weinqualität und vereinzelt sogar Wein-Marktplätze vergleichbar einem Mini-Amazon. Der analoge Außendienst von damals ist für ein Unternehmen inzwischen der teuerste Vertriebskanal. Und das betrifft fast alle Branchen.

Die traditionellen Familienunternehmen mit teilweise unglaublichen Wachstumsgeschichten, stehen diesem allgegenwärtigen Wandel zwar nicht blind gegenüber, unterschätzen die Auswirkungen auf das eigene Geschäftsmodell jedoch massiv. Wie lange geht das noch gut? Und wie reagiert der Kunde zukünftig auf die überholten Angebote der Familienunternehmen?

Mit dem sich abzeichnenden Ende der konjunkturellen Hochphase laufen die Unternehmen Gefahr, wichtige Entscheidungen und Investitionen, insbesondere auch in Mitarbeiter oder in neue Geschäftspotentiale in die Zukunft zu verschieben. Wenn sich die Konjunktur wie erwartet abschwächt und sich die Auftragsbücher nicht mehr füllen, gibt es zwar genug Zeit für das Thema digitale Transformation, aber dann wird den Unternehmen erst recht der Mut dafür fehlen.

Digital in allen Lebensbereichen

Egal ob B2B oder B2C, Verbraucher googeln heute nach Angeboten, erfahren neues über Marken via Instagram und Pinterest, vergleichen im Netz Serviceleistungen, schauen sich Bewertungen über Youtube an und prüfen die ökologische Vereinbarkeit eines Produktes auch online. Das Paradoxe ist, dass sich der Seniorinhaber eines Familienunternehmens mit dieser digitalen Welt im Privaten viel leichter tut als im Business.

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In der Regel betrachten Seniorinhaber ihr Unternehmen als Leihgabe, die sie eines Tages ihren Kindern übertragen wollen. Dabei steht für die Seniorinhaber und die Nachfolgegeneration gleichermaßen nicht das Groß-Kasse-machen im Vordergrund, sondern die Gesundheit des Unternehmens. Also: Eigentlich alles zum Besten bestellt, sollte man meinen.

Die Herausforderung für die nächste Unternehmergeneration ist allerdings genau diese Tradition. Sie ist Fluch und Segen zugleich. Die „Väter“ haben ihre Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten auf Stabilität getrimmt, gerade weil sie es stabil an die nächstfolgende Generation übergeben wollen: Nicht auf jeden Trend wurde aufgesprungen, das Denken im Rahmen der klassischen Wertschöpfungskette, wie Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing, Vertrieb, Logistik, ging immer gut auf. Das Unternehmen wurde somit immun gemacht gegen jegliche Veränderung. Was nicht heißt, dass die Unternehmen nicht innovativ waren, allerdings eher im inkrementellen Sinne.

Für die Juniorinhaber wird so nun jeglicher Wandel, jegliche Veränderung zu einer außerordentlichen Herausforderung. Es gilt nicht nur den Senior von den notwendigen Veränderungen zu überzeugen, sondern auch die Belegschaft, die teilweise seit 25, 30 oder 40 Jahren im Unternehmen ist.

Überzeugungsarbeit beginnt im Vorstand

Dass es heutzutage einmal mehr gilt, 100 Prozent den Kunden zu fokussieren – der Kundenblick allein reicht nicht mehr – und Datenzentrierung im Unternehmen zu leben. Oder auch in Netzwerken zu denken und die Auswirkungen von Plattform- beziehungsweise Marktplatz-Mechanismus auf das eigene Geschäft zu verstehen. Und dass Kreativitätstechniken wie Design-Thinking oder agile Teams keine Modeerscheinung aus dem Silicon Valley sind, sondern echte Innovation schaffen können, davon muss zunächst der Vorstand überzeugt werden.

Digitale Transformation bedeutet im ersten Schritt vor allem ein Kulturwandel im Unternehmen. Einer der wichtigsten Hebel zu weiterem Unternehmenswachstum, zu neuen Zielgruppen und neuen Umsätzen liegt dann vor allem in der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle und im Aufbau von Digitalkompetenz. Was dem Junior im Gespräch mit dem Senior vor allem hilft, ist eine klare Sprache der Zahlen, am besten der Umsatzzahlen: „Ich zeige Dir, dass wir mit mehr internen Informationen (Daten) und einem sauberen Verständnis über den Kunden von morgen (Kundenzentrierung) in zwei Jahren 10 Prozent unserer Umsatzerlöse online erzielen werden. Und dies möglicherweise nicht nur mit unserem angestammten Kerngeschäft.“

Digitalisierung

Was ebenfalls Zeit braucht, ist die Akzeptanz der Veränderungen auf Seiten der Mitarbeiter. Dies erreichen junge Unternehmensnachfolger leichter, weil sie in Teams denken und handeln. Machtspiele und politische Spielereien sind ihnen fremd. Sie rekrutieren über fachlich kompetente Mitarbeiter hinaus offene und teamfähige Kollegen, stellen insbesondere Fair-play und ein Team für die Kundenlösungen von morgen in den Mittelpunkt ihrer Unternehmensstrategie. Die jungen Unternehmensnachfolger üben Rapid-Prototyping aus, sie launchen Produkte, die noch im Entwicklungsprozess sind, weil sie von der Wirkung kurzer Innovationszyklen überzeugt sind. Und sie leben agile Unternehmensführung: Stempeluhr und Null-Fehler-Toleranz war gestern; mitnehmen, begeistern, machen lassen ist heute.

Und was schließlich auch hilft, den kritischen Senior von der digitalen Geschäftswelt zu überzeugen, ist der Austausch mit erfahrenen Inhabern, die diesen Weg schon erfolgreich mit ihren Nachfolgern gemeinsam gehen. Die Liste an Unternehmen, die Vorbildcharakter haben, ist lang.

Seniorinhaber tun gut daran, die „Next Generation“ früher in die Verantwortung zu lassen, als das vielleicht die Generationen vor ihnen getan haben. Man sollte sich heute nicht mehr von unten nach oben hocharbeiten müssen, um eine Führungsposition zu erhalten. Das ist purer Zeitverlust. Denn da draußen im Ökosystem ist die Lösung für den Kunden von morgen und diese findet nicht durch das Hochdienen in der Organisation ins Unternehmen statt. Wer ein Familienunternehmen voranbringen will, muss inspirieren, mutig sein und in agilen Teams denken und handeln. Dafür sind die jungen Nachfolger prädestiniert, denn sie sind Unternehmerkinder ihrer Zeit.


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Autor

Maria Gleichmann-Pieroth ist verantwortliche Principal bei etventure und Aufsichtsrätin der Pieroth Wein AG.

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