Smart City Berlin? – 5 Gründe, warum Berlin (noch) nicht schlau ist

07. November 2017

Für Politiker, Unternehmen und Stadtplaner, die sich aktiv mit der Transformation der eigenen Stadt zur Smart City beschäftigen, ist das Engagement der Menschen, die tatsächlich in ihrer Stadt leben (wollen) essenziell. Smart City allein reicht nicht für nachhaltige Verbesserungen im urbanen Umfeld. Werfen wir exemplarisch einen Blick auf Berlin. 2015 wurde das Strategiepapier “Smart City Berlin” veröffentlicht. Basierend darauf sollten Projekte angestoßen werden, die sich mit innovativen Themen innerhalb der Berliner Infrastruktur beschäftigen. Nach einem guten Jahr herrschte eine gewisse Ernüchterung. Das liegt nicht daran, dass nichts passiert ist. Gemeinsam mit 20 Partnern wurden 40 Projekte umgesetzt. Acht mal so viele wie in Hamburg im gleichen Zeitraum. Das Urteil der Berliner Unternehmer fällt dennoch wenig positiv aus. 51 Prozent von 121 befragten Experten einer Studie des VBKI bewerteten den IST-Zustand der Smart City Berlin mit der Schulnote 4 oder schlechter. Woran liegt es, dass Smart City Initiativen sich – nicht nur in Berlin – so schwer tun?

1) Fehlende Infrastruktur

Am Anfang steht die Frage, welche Rahmenbedingungen eigentlich gegeben sein müssen, um einen guten Nährboden für eine Smart City zu bieten.

Im Rahmen der Smart City Strategie Berlin wurden 2015 rund 25 Projekte vorgestellt, die zwar inhaltliche Anknüpfungspunkte haben, die aber strukturell völlig unabhängig voneinander umgesetzt wurden. Die Projekte „One Stop City“ für die Bündelung von Amtsgängen, das Portal mein Berlin, um Anträge einzureichen, und das Beschwerdemanagement-Tool „Ordnungsamt Online“ sind für sich genommen sehr sinnvolle und hilfreiche Initiativen, die Berlin ein Stück digitaler und damit auch smarter machen. Aber aus Nutzersicht entfaltet sich der volle Mehrwert nicht. Ein engagierter Stadtbewohner weiß oft nicht auf Anhieb, wo er sich mit welchem Problem an wen wenden kann.

Ein lohnendes Ziel wäre es daher, eine zentrale Anlaufstelle für Bürger, Stadtgemeinden und Unternehmer anzubieten, wo alle Daten und Informationen zusammenfließen und abgerufen werden können. Dabei geht es nicht darum, jeden einzelnen Anwendungsfall innerhalb einer einzigen, überdimensionierten Softwarelösung abzudecken. Ganz im Gegenteil. Zahlreiche kleine Applikationen könnten von verschiedenen Anbietern auf konkrete Nutzerbedürfnisse hin entwickelt und über eine offene Plattform zur Verfügung gestellt werden.

2) Fehlende Finanzen

Ein zentrales Problem sind – und wehe, da ist jetzt irgendjemand überrascht – die Finanzen. Die bestehenden Gesamtschulden von Berlin belaufen sich aktuell auf 60 Mrd. Euro. Damit ist Berlin Spitzenreiter im deutschen Städte-Ranking. Das heißt aber nicht, dass es in anderen Städten besser aussieht.

Der Berliner Haushaltsplan für 2017 umfasst ein Gesamtbudget für Ausgaben in der Höhe von 26 Mrd. Euro. Eine stattliche Summe, von der jedoch nur etwas mehr als ein Prozent für Technologie und Forschung übrig bleiben. Der genau Anteil für Smart City ist nicht definiert. Mit umfangreichen Investitionen ist jedoch nicht zu rechnen.   

3) Fehlende Nachhaltigkeit

Das führt direkt zum nächsten Problem. Solange Smart City Initiativen auf Fördermittel angewiesen sind, wird es kaum nachhaltige Entwicklung geben. Einzelne Projekte können hochinnovative Ergebnisse liefern. Aber sobald das Geld alle ist, ist das Projekt zu Ende.

Wenn ein großer Teil des aktuellen Projektbudgets dafür verwendet werden muss, das kommende Projektbudget zu beantragen, dann fließt zu wenig Aufmerksamkeit in die konkrete Anwendbarkeit und es wird keinen dauerhaften Einfluss auf das moderne Stadtbild haben. Die intrinsische Motivation des Projektteams (Überleben) und die extrinsische Motivation des Fördergebers (Wunsch nach Innovation) können unter solchen Bedingungen nur schwer in Einklang gebracht werden.

Es braucht cross-funktionale Teams bestehend aus Forschern, Ingenieuren, Städteplanern, Unternehmern und fachlichen Experten für Marketing, Design und nutzerzentrierte Entwicklung. Diese Teams müssen das Projekt als Startup behandeln, mit dem klaren Ziel, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

4) Fehlende Beteiligung

Das Netzwerk „Berlin Partner“ ist nach innen und außen der zentrale Ansprechpartner für die Umsetzung der Smart City Berlin Strategie. Der dazugehörige Twitter Account hatte im Mai 2017 etwas mehr als 5.000 Follower. Zum Vergleich: Hertha BSC hat 250.000.

Die Bürger einer Stadt sind vielbeschäftigt. Sie müssen arbeiten gehen, sich um ihre Familien kümmern, einkaufen, schlafen und das bisschen Zeit, was übrig bleibt, wird nicht selten in das umfangreiche urbane Freizeitangebot investiert. Für ein zusätzliches Engagement zur Verbesserung der eigenen Stadt bleibt wenig Luft.

Und da sind wir wieder beim Anfangsproblem: eine Smart City, für die sich keiner interessiert, ist vermutlich keine Smart City. Nur gemeinsam mit den Bürgern und angesiedelten Unternehmen kann man nachhaltige Geschäftsmodelle etablieren. Eine zentrale Aufgabe auf dem Weg zur Smart City ist also nicht allein die technische Umsetzung innovativer Ideen, sondern die Einbeziehung aller Betroffenen. Das heißt, bevor man in die komplexe Umsetzung einer Softwarelösung geht, sollte man zuerst die folgenden Fragen beantworten können:

  • Welche konkreten Ergebnisse möchte man mit einer Smart City Plattform erzielen und für wen?
  • Wie kann man möglichst einfach und frühzeitig das Interesse und die Wirksamkeit der geplanten Lösung prüfen?
  • Wo kann man diese Lösungen anbieten, damit sie schnell und einfach gefunden und bedient werden können?
  • Und wie kann man alle, die es betrifft, darüber informieren, dass und wo es diese Lösungen gibt?

5) Fehlendes Marketing

Berlin wird außerhalb von Berlin eine Vorreiterrolle auf dem Weg zur Smart City zugesprochen. Im Buch „Smart Cities in Europe“ von Maria Sashinskaya wird die Nutzung von Echtzeitdaten im Öffentlichen Personennahverkehr in Berlin als Grundlage für Live-Informationen an Bahnhöfen und innerhalb der VBB App als positives Beispiel für den smarten und zielgerichteten Einsatz von Daten im Smart City Kontext aufgeführt.      

Den Berlinern selbst jedoch ist einfach nicht bewusst, welche zukunftsträchtigen und innovativen Projekte es von und in Berlin gibt. Das einzige Berliner Großprojekt, welches es mit verlässlicher Regelmäßigkeit in die öffentliche Wahrnehmung schafft, betreibt Innovation lediglich in der sehr flexiblen Handhabung von Deadlines und sorgt dadurch eher für humoristische Highlights.

Das heißt, wenn die Berliner nicht daran glauben, dass ihre Stadt smart ist, dann ist sie es irgendwie auch nicht. Es hilft daher wenig, wenn in einem Strategiepapier Sätze wie der folgende stehen:

„Das smarte Berlin ist also ein Siedlungs- und Wirtschaftsraum, der sich unter einem systemisch-intermodalen Einsatz von innovativen Technologien, Materialien und Dienstleistungen nachhaltig entwickelt.”

Die Kernaussage ist gut, richtig und wichtig. Aber als Icebreaker beim nächsten Networking-Event dient sie nicht.

Über positive Beispiele muss viel stärker berichtet werden. Je mehr Menschen sich für ihre Stadt interessieren, sich engagieren und darüber kommunizieren, desto größer ist die Chance für nachhaltige Smart City Initiativen. Wenn ein zentraler Marktplatz für den Austausch von Daten, Informationen und Ideen aufgebaut wird, kann sich eine Stadt nicht nur theoretisch, sondern auch sehr praktisch und sichtbar zur Smart City entwickeln.


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Autor

Gregor Ilg leitet das Produktteam bei etventure, das unter seiner Führung Hunderte von MVPs für Kunden verschiedener Branchen entwickelt hat.

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