Schöne neue Datenwelt?

18. Januar 2018

Mit der Reihe „Innovation – eine menschliche Perspektive“ wollen wir einen Blick darauf werfen, was die digitale Entwicklung eigentlich für den Menschen bedeutet. In Teil 1 haben wir in der Silvester-Nacht ein fulminantes Feuerwerk mit großen Technologiesprüngen erlebt, das uns mit Höchstgeschwindigkeit in unsere moderne Welt katapultiert hat. Hoffentlich war der Start ins neue Jahr ebenso großartig! Jetzt wollen wir einen Blick in die Glaskugel wagen: Wie sieht die digitale Zukunft des Menschen aus?

Der große Sprung in die moderne Welt gelang vor allem durch den Dreiklang von

  • Kapitalismus: Investieren als Ertragsmodell, d.h. “Ich glaube an deine Idee und gebe dir Geld, wenn ich im Gegenzug eine attraktive Rückzahlung erhalte.”
  • Wissenschaft: Akzeptanz von “Ich weiß, dass ich nichts weiß” und daraus resultierend Neugier und Forschungsdrang
  • Humanismus: Im Zentrum des moralischen Handelns steht der Mensch, d.h. es ist gut und richtig, was dem Menschen gut tut und was zu einer besseren Existenzform führt.

Dieser homozentrische Dreiklang befeuert unsere Innovationsmaschine und die Startup-Welt auch heute noch und treibt die beiden Grundbereiche digitaler Innovation an:

Automatisierung und die Schnittstelle Mensch-Maschine.

Lass die Roboter mal machen… und denken

Automatisierung fokussiert die Arbeit ohne den Menschen. Ziel ist die Verbesserung von Robotern und Künstlicher Intelligenz zur Entlastung des Menschen. Getrieben wird dies vor allem durch Humanismus und Kapitalismus – Arbeitserleichterung auf der einen Seite, Effizienzdenken auf der anderen.

Dieser Bereich beschäftigt sich mit den Themen Robotics (Mechanische Arbeit), z.B. Roboter in der Produktion und auf dem Acker, und Künstlicher Intelligenz (Kognitiver Arbeit), z.B. Handelsprogramme an der Börse oder Chatbots im Dienstleistungssektor. Dass durch Automatisierung nur “Blue Collar” Jobs wegfallen, ist spätestens seit der Schließung einer ganzen Abteilung einer Versicherung in Japan ein Irrglaube. Denkt man diese Entwicklung rigoros und konsequent zu Ende, bedeutet dies, dass sich der Vormarsch der Industrieroboter fortsetzt und – in Kombination mit besserer Software (Künstliche Intelligenz) – auch spezialisierte Arbeitsplätze in der Produktion verdrängt werden.

“White Collar” Jobs, also Berufe im Dienstleistungssektor, werden schon heute stark durch datenverarbeitende Software unterstützt. In naher Zukunft wird die Technologie auch hier Arbeitsplätze verdrängen. Waren Fabrikhallen und Äcker früher voller Arbeiter, sind diese heute fast menschenleer – mit einer Handvoll Mitarbeitern, die eine Schar von Greifarmen überwachen oder Felder mit riesigen Landmaschinen bestellen. Ähnlich leer könnte es bald in Großraumbüros aussehen.

Mach mich besser, schneller, stärker

Der Bereich Schnittstelle Mensch-Maschine legt den Fokus auf die Optimierung des Menschen und ist somit vor allem humanistisch getrieben. Ziel ist die Verbesserung von Menschen durch Computer oder durch organisch-verbesserte Maschinen (z.B. durch Biotechnologie oder Genetik). Das menschliche Potential ohne “Erweiterung” scheint ausgeschöpft und so wird die Verbindung mit anorganischen oder organisch-verbesserten Maschinen angestrebt.

Ein Beispiel: Der durchschnittliche Intelligenzquotient liegt bei rund 100 Punkten. Im Alltag sind wir aber in der Regel schon deutlich schlauer durch unser zweites, digitales Gehirn in der Hosentasche. Das Einzige, was die Schnelligkeit des externen Gehirns aktuell noch einschränkt, ist diese Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, die in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit gewonnen hat. Computer werden (noch) mit Tastatur und Maus bedient, Smartphones mittlerweile selbstverständlich mit Touch-Display und während ich diese Zeilen schreibe, unterhalten sich Tausende Menschen mit Alexa, Google oder Siri. Apples neues iPhone X erkennt seinen Besitzer mittlerweile auch am Gesicht. In letzter Konsequenz ist es also nur eine Frage der Zeit, bis ein Stecker oder Chip wie im Film “The Matrix”, der einen direkt mit dem Cyberspace verbindet und einen spätestens dann zum Cyborg macht, Realität wird.

In diesen Bereich fallen aber nicht nur maschinelle Gehirne und jegliche Software, die Menschen hilft, besser zu arbeiten, sondern auch physische Verstärkungen, die sowohl organischer als auch anorganischer Natur sein können. Dazu gehören gen-optimierte Organe, das Einführen von Nanobots in den Blutkreislauf zur Überwachung der Vitaldaten oder Exoskelette, mit deren Hilfe Querschnittsgelähmte wieder laufen können.

Der Mensch entmündigt und zurückgelassen?

Führt man die Entwicklung dieser zwei Bereiche – Automatisierung und Schnittstelle Mensch-Maschine – konsequent weiter, so steht am Ende dieser Entwicklung eine Mehrheit an Menschen, die physisch nicht mehr mit Robotern und geistig nicht mehr mit Künstlicher Intelligenz Schritt halten kann. Ein Studium wird nur sehr begrenzt weiterhelfen: Einige Wissenschaftler im Bereich Künstliche Intelligenz glauben, dass Computer bereits in 30 Jahren so schlau sein werden wie der Mensch.

Und selbst wenn es 50 Jahre länger dauert, die Stoßrichtung bleibt unverändert. In Kreisen von Zukunftsforschern wird deshalb immer wieder die sogenannte technologische Singularität diskutiert: Ein Zeitpunkt, zu dem sich Künstliche Intelligenz so schnell selbst verbessern kann, dass Menschen nicht hinter diesen Zeithorizont blicken können. Kritiker befürchten die damit einhergehende Auslöschung des Menschen.

Was aber ist die Konsequenz all dessen? Wie sollte der Mensch reagieren? Ein pragmatischer Ansatz ist es, sich mit künstlicher Intelligenz zu verbinden, sodass man als Cyborg mit Supercomputern Schritt halten kann – eine Denkweise, die anerkennt, dass die Entwicklung nicht zu stoppen sein wird. Bezieht man diese Entwicklung auf die Gesellschaft als Ganzes, stellt sich aber auch die Frage, wer sich diese “Optimierungsmaßnahmen” leisten können wird, um am Ball zu bleiben? Wie bei allen neuen Technologien wird dies wohl (zunächst) nur Superreichen vorbehalten sein. Konsequent zu Ende gedacht, würde dies eine Spaltung in arme Nutzlose und reiche Cyborgs bedeuten.

Zudem wird die weitere Verflechtung zwischen Mensch und Maschine dazu führen, dass immer schlauere Computer immer mehr Daten über einen selbst analysieren und auswerten können, bis nicht mehr nur das Kaufverhalten auf Amazon vorhergesagt werden kann, sondern so gut wie jede unserer Handlungen. Der Historiker Yuval Noah Harari schreibt in seinem Buch Homo Deus, dass die Freiheit des menschlichen Individuums, “an dem Tag zusammenbrechen [werde], an dem das System mich besser kennt, als ich mich selbst.“ Laut der Stanford University kennt Facebook seinen Nutzer ab 300 Likes besser als der Ehepartner. Dem Übergang vom homozentrischen zum datenzentrischen Weltbild steht scheinbar nichts mehr im Weg.


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Autor

Raffael Schmidt, Project Manager bei etventure, schreibt über seine Erfahrungen, wenn Digitalisierung und Innovation auf Mensch und Gesellschaft treffen. Er lehrt als Gastdozent u. a. an LMU München, HTW Berlin und WHU Vallendar zu den Themen Geschäftsmodellinnovation und nutzerzentrierte Produktentwicklung.

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